21.07.2023
Trotz großer Bedenken seitens der betroffenen Kammern und Verbände sowie der Oppositionsparteien hat der Hessische Landtag am 18. Juli 2023 den von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung von vermessungs- und planungsrechtlichen Vorschriften (ÖbVI-Gesetz) ohne weitere Anpassungen beschlossen.
Sowohl in ihrer schriftlichen Stellungnahme als auch bei der mündlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss am 3. Mai 2023 und in einem weiteren Schreiben an die Landtagsabgeordneten hatte sich die Ingenieurkammer Hessen gemeinsam mit den betroffenen Verbänden klar gegen diese Neufassung des Gesetzes positioniert, da die Novelle mit einer Verkürzung der Ausbildungszeit und in der Folge mit Qualitätsverlust einhergeht. Nicht zuletzt widerspricht der Entwurf den bundesweiten Bemühungen für eine Harmonisierung der Zulassungsvoraussetzungen Kammern und Verbände appellierten, das bestehende Gesetz unverändert um zwei bis drei Jahre zu verlängern, um damit die Möglichkeit zu schaffen, nach Abschluss der bundesweiten Abstimmungen ein modernes Gesetz auf den Weg zu bringen.
Dass die Änderung mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen sämtliche Einwände der Opposition und zahlreicher Vertreter aus der Fachwelt dennoch beschlossen wurde, sorgte nicht nur bei den direkt betroffenen Berufsgruppen für Unmut.
„Nicht nur die Ingenieurkammer, sondern auch die Architekten- und Stadtplanerkammer wie auch der Verband der Freien Berufe hat vergeblich in der Anhörung zu dem Gesetzentwurf im Mai versucht, die Änderung, die zu einer Verkürzung der komplexen Ausbildung von diesem Beruf führt, zu verhindern“, äußerte sich Elke Barth (stellvertretende wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion) vor der Abstimmung. Selbst die Argumente des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder (AdV), des obersten Repräsentanten des deutschen amtlichen Vermessungswesens, seien im Abwägungsprozess einfach beiseite gewischt worden.
„Es ist unfassbar, wie ignorant Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir auf diese Kritik reagiert hat“, kritisierte Barth den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. „Eine Änderung der Ausbildungsordnung sollte gemeinsam mit den betroffenen Verbänden und nicht gegen sie erarbeitet werden. Wir fordern den Minister auf, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und die Ergebnisse der Arbeitsgruppe auf Bundesebene abzuwarten, um dann einen mit anderen Bundesländern abgestimmten Gesetzentwurf vorzulegen.“
Konsterniert müssen die Berufsverbände und die Ingenieurkammer zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung eine Berufsordnung über die Köpfe und gegen die begründeten Argumente eines kompletten Berufsstandes beschließt, der seit 75 Jahren völlig geräuschlos seine Aufgaben für die Bürger und das Land Hessen erledigt. Das Ministerium hat die Verbände und Kammern im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach zu Stellungnahmen aufgefordert. Dieser Bitte sind die Institutionen stets termingerecht nachgekommen. Ein fachlicher Austausch, wie er von den Vorgängerregierungen praktiziert wurde, war aber in diesem Fall leider offensichtlich nicht gewünscht.
Es ist Aufgabe und Pflicht der Berufsvertretung, auf eine Fehlentwicklung hinzuweisen, sofern die Branche – wie in diesem Fall – erkennen muss, dass ein Gesetzesvorhaben in die falsche Richtung läuft. Nicht übersehen werden an dieser Stelle die Änderungen, die in Folge des massiven Widerstands aus der Fachwelt an der Novelle vorgenommen wurden. Sie haben aber leider nur einen Placeboeffekt, da eine Verkürzung der Ausbildungszeiten von neun auf ca. sechs Jahre nicht ohne Qualitätsverlust funktionieren kann.
Bei den Betroffenen ist der Eindruck entstanden, dass die Politik bei dem Abwägungsprozess im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens der einseitigen Argumentation der Ministerialbürokratie gefolgt ist und die Argumente der Verbände und Kammern sowie – viel wichtiger noch – die aller angehörten externen honorigen Sachverständigen vollkommen ignoriert hat. Dadurch kommt bei besagten Betroffenen ein Gefühl von Ohnmacht auf, das zwangsläufig zu der allseits beklagten Politikverdrossenheit führt. Die Interessensvertretungen drohten mit Krawall, wenn ihre Forderungen nicht vollständig erfüllt würden, lautete schließlich die Kritik aus der Politik auf die Tatsache, dass der Berufsstand die Unzufriedenheit über das neue Gesetz im Vorfeld der Abstimmung öffentlich und schriftlich kommuniziert hatte.
Der nächste Konflikt bahnt sich bereits an: Nachdem die für die Honorierung der ÖbVI-Leistungen verbindlich vorgeschriebene Verwaltungskostenordnung seit 2020 nicht angepasst wurde, hat der Berufsstand vor einigen Monaten eine Erhöhung gefordert. Das Ministerium hatte zunächst eine Erhöhung von 3,9 % avisiert. Auch hier mussten die Verbände und die Ingenieurkammer massiv intervenieren, bis das Ministerium zu guter Letzt eine höhere Anpassung in Aussicht gestellt hat. Infolge der hohen Inflation wäre für den Zeitraum von 2020 bis ca. 2025 eine Steigerung von mindestens 17 % erforderlich (3,4 % pro Jahr).
Diese Tatsache ist auch dem Ministerium bekannt. Dennoch ist inzwischen davon auszugehen, dass eine Erhöhung von lediglich 10 % erfolgen soll. Demnach müssen sich die ÖbVI auf einen Verlust von 7 % einstellen. Der gleiche Minister, der gerade erst das ÖbVI-Gesetz geändert hat, damit sich mehr von ihnen in Hessen niederlassen, verwehrt den bereits hier ansässigen ÖbVI eine Erhöhung der Verwaltungskostenordnung, die gerade einmal einen Inflationsausgleich schaffen soll. Die Aussicht auf nicht auskömmliche Honorare dürfte den erhofften Vorteil einer vereinfachten Zulassung somit schnell zunichtemachen.